Fachlosvergabe als Wettbewerbsgarant im Straßen- und Brückenbau

In zwei gleichermaßen aussagekräftigen wie inhaltlich sehr überzeugenden Entscheidungen vom 21. August 2024 (Az. Verg 6/2024 und Verg 7/2024) hat sich das Oberlandesgericht Düsseldorf erneut eingehend mit dem Gebot der Fachlosvergabe nach § 97 Abs. 4 GWB befasst. Es hat die Voraussetzungen der Gesamtvergabe unterschiedlicher Fachlose, die nur ausnahmsweise zulässig ist, mit großer Deutlichkeit in Erinnerung gerufen und in der Anwendung geschärft.

BAB-Ausschreibung: Gesamtvergabe statt Fachlose

Was ist passiert? Der Auftraggeber hat europaweit Bauarbeiten für die Fahrbahnerneuerung an einem Teilabschnitt der BAB A60 ausgeschrieben. Die Arbeiten sollen im Wesentlichen „ca. 90.000 m² Asphaltfahrbahn grundhaft erneuern“, erfassen, weiter den Auf-, Um- und Abbau einer 3+1-Verkehrssicherung, außerdem etwa 21.000 m² Weißmarkierungen sowie ca. 14.000 m „Fahrzeugrückhaltesystem erneuern.“ Eine Aufteilung in Fachlose war nicht vorgesehen. Als voraussichtliche Bauzeit wurde ein Zeitraum vom fünf Monaten vorgegeben. Die Vergütung der Bauleistungen sollte nach dem Verfügbarkeitsmodell erfolgen. Dabei handelt es sich um einen Beschleunigungsanreiz ähnlich dem bekannten Bonus-Malus-Modell. Im Verfügbarkeitsmodell benennt der Auftraggeber eine Planbauzeit (hier: fünf Monate) als die vorgesehene maximale Bauzeit. Diese maximale Bauzeit soll von den Bietern im Wettbewerb möglichst „unterboten“ werden. Die jeweilige Angebotsbauzeit ist Bestandteil der Zuschlagswertung und wird im Auftragsfall zur vertraglichen Bauzeit. Simuliert wird, dass dem Bieter für die von ihm angebotene Bauzeit die Baustelle „zur Verfügung gestellt wird“. Hält er den Verfügungszeitraum (die angebotene Bauzeit) nicht ein, so wird ihm von der Schlussrechnung ein Verfügungsentgelt pro Tag der Überziehung abgezogen, vorliegend i. H. v. EUR 100.000. Umgekehrt wird ihm für den Fall, dass er die angebotene Bauzeit unterschreitet, der gleiche Betrag pro Tag gutgeschrieben.

Aufgrund dieser Besonderheiten sah der Auftraggeber davon ab, Fachlose für die genannten Einzelgewerke zu bilden. Er begründete dies mit einer angeblichen Bauzeitverkürzung bei Gesamtvergabe von 21 Werktagen, mit weniger Unfall- und Staugefahren, weniger staubedingten Emissionen und der zeitlich kürzeren Notwendigkeit von Umleitungsstrecken. Außerdem müssten alle Arbeiten irgendwie ineinandergreifen, und das Arbeiten von gleichzeitig mehr als einem Unternehmen auf dem sieben km langen Baufeld sei ausgeschlossen. Wenn der künftige AN einen wirtschaftlichen Vorteil durch Bauzeitverkürzung generieren wolle, dann müsse er alle Arbeiten selbst koordinieren. Dagegen wandten sich zwei Fachlosanbieter, die sehr frühzeitig die unterbliebene Losbildung für die Rückhaltesysteme und die Verkehrssicherungsarbeiten beanstandeten.

Baustelle Autobahn

OLG Düsseldorf: Strenge Anforderungen an Gesamtvergaben

Das OLG Düsseldorf hat dem öffentlichen Auftraggeber eine völlig unzureichende Begründung der Gesamtvergabe ins Stammbuch geschrieben, außerdem eine komplett fehlende Abwägung der Interessen der Fachlosanbieter. Das aber sei conditio sine qua non für jede Gesamtausschreibung. Der Auftraggeber dürfe sich nicht nur mit den angeblichen Vorteilen beschäftigen, die er für eine Gesamtvergabe sehe. Er müsse auch alle Umstände ins Kalkül ziehen und abwägen, die für eine Losbildung sprächen. Außerdem sei es nicht zulässig, allgemeingültige, ggf. gesamtwirtschaftlich interessante Erwägungen wie etwa diejenigen des Verkehrsaufkommens und der Staurisiken ins Feld zu führen. Denn das Gesetz sehe vor, dass sich durch eine Losbildung die konkrete Wirtschaftlichkeit des konkreten Bauvorhabens spürbar verschlechtern müsse. Solche konkreten Fakten konnte der Auftraggeber aber nicht anführen. Deshalb war die unterbliebene Fachlosbildung rechtswidrig.

Für die mittelständischen Wettbewerbsinteressen ist diese Entscheidung ausgesprochen wichtig und wertvoll. Das gesamte Vergaberecht ist darauf angelegt, für mehr Wettbewerb zu sorgen, und nicht darauf, diesen zu beschränken. Dafür aber lassen sich öffentliche Auftraggeber immer neue Wege und Argumente einfallen. Dass sie damit ganz entscheidend selbst zur Verzögerung wichtiger Baumaßnahmen beitragen, zeigt eindrucksfall dieser aktuelle Fall. Der geplante Baubeginn verzögert sich allein durch die rechtswidrige Vorgehensweise des Auftraggebers um mindestens ein Jahr. Die betroffenen Fachlosanbieter hatten die Gesamtvergabe rechtzeitig gerügt. Aber der Auftraggeber hat die Rügen im Handumdrehen zurückgewiesen. Nur deshalb wurde eine gerichtliche Klärung nötig.

Gefahr für den Mittelstand: Das Vergabetransformationsgesetz

Dass diese Klärung dann einige Zeit in Anspruch nimmt, ist eine Konsequenz der Rechtsstaatlichkeit. Im sog. Vergabetransformationsgesetz, das sich aktuell als Referentenentwurf in der Anhörung befindet, geht es der Bundesregierung nun darum, genau diesen Rechtsschutz zu verkürzen und den Mittelstand möglichst effektiv aus dem Baugeschehen namentlich des Bundesfernstraßenbaus, bei dem die Losaufteilung seit jeher eine besondere Bedeutung hat, künftig herauszuhalten. Der Regierungsentwurf versucht sich daran, die Anforderungen an die Gesamtvergabe so herabzusetzen, dass die Auftraggeber künftig auch ohne belastbare Begründungen, wie sie das Gericht gerade gefordert hat, von der losweisen Vergabe absehen dürfen. Oder anders gesprochen: Da für die Auftraggeber die Hürde der rechtmäßigen Begründung von Gesamtvergaben zu hoch ist, legt sie der Gesetzgeber einfach niedriger. Der Mittelstand ist gut beraten, sich diesem Vorstoß vehement zu widersetzen. Er soll massiv benachteiligt werden. Die Bundesregierung legt die Axt an ein vergaberechtliches „Kulturgut“, und zwar ausschließlich auf Kosten der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer aus dem Mittelstand. Eines wird dadurch ganz sicher erreicht: Noch mehr Losstreitigkeiten und noch mehr Zeitverlust durch gerichtliche Klärungen sind die absehbare Folge.